ABC-Etüden – IM II – Ready for take-off


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Bild von Lynn Greyling auf Pixabay

Ready for take-off

„Wie wenig wir einander kennen“ dachte der Pilot noch, als er sich durch den mit Passagieren und Gepäck vollgestopften Mittelgang seines Inselhoppers zu seiner Kabine vorarbeitete. „Von keinem Einzigen von ihnen weiß ich, ob er Flugangst hat, von welchem Flughafen er überhaupt ursprünglich gestartet ist und warum er gerade von hier aus auf die vorgelagerten Inseln fliegen will. Nur Wasserratte oder doch andere Pläne? Oder einfach nur mal wieder weg von Zuhause, egal wohin? Hauptsache weit weg und nicht dahin, wo Andere sich bespassen lassen? Und auch hier in der Wildnis noch nicht angekommen, immer noch ruhelos und erlebnishungrig. Na, ja, geht mich ja nichts an, für mich heißt es daher im Moment: keine Sommerpause.

Mir macht es ja nichts aus, in aller Herrgottsfrühe hier zu sein und die alte Mühle halbwegs flugfähig zu machen, ist ja mein Job seit über zwanzig Jahren. Mein Gott, wenn die Passagiere wüssten, wie alt  diese Kisten schon sind, die wir fliegen! Und wenn sie die ganzen Stellen sehen würden, wo das Öl schon aus den beiden Motoren tropft, dann würden sie ganz bestimmt große Kulleraugen kriegen!

Aber so ist das hier in dem angeblich letzten Paradies auf Erden: die nächste Gesellschafterversammlung wirft schon ihre Schatten voraus. Sparzwang ist wieder einmal angesagt und Entlassungen. Da werden wieder etliche Tischtücher zwischen den gierigen Aktionären und lang gedienten Kollegen zerrissen werden. Es ist halt jedes Jahr der gleiche Flohzirkus: wir sollen Männchen machen und die Schnauze halten. Ich habe das so was von dicke! Und bin am überlegen, ob ich mich stattdessen nicht als Lastenflieger für die Ukraine verdinge. Den Großen Pilotenschein habe ich ja Gottseidank noch immer, und das Risiko ist auch nicht höher, als mit den alten Klappermühlen hier. Aber die Bezahlung dort ist um ein Vielfaches höher! Also gut, wenn ich heute ohne Bruchlandung heil nach Hause komme, dann gehe ich das mal an!“

(311 Worte)

 

P.S.:

In jungen Jahren bin ich einmal von San José, Costa Rica nach San Salvador, El Salvador geflogen, u.z. mit einer der berühmten DC 3 von Douglas. Die Maschine war damals schätzungsweise 30 Jahre alt. Als wir über das Rollfeld zur Maschine gingen, bemerkten wir, dass aus einem der Motoren Öl tropfte. Wir wiesen den Piloten darauf hin und der antwortete lapidar: „Ich weiß, macht aber nichts, ist sowieso ihr letzter Flug!“

17 Comments

  1. Da gibt es sicher so manches, was man gar nicht wissen möchte. Auch bei Flugzeugen, die nicht uralt sind und dann bei den ganz neuen Typen, bei denen irgendwas nicht gut genug überprüft wurde. Ich bin früher in Flugzeuge ganz unbefangen eingestiegen, wie in den Bus. Heute fürchte ich mich bei jedem Flug

  2. Die Frage ist, ob mensch das Risiko kalkulieren (aufgrund von Erfahrung, siehe dein Pilot) und verantwortungsvoll handeln kann, oder ob er beten muss, dass nichts passiert, weil es zu viele Faktoren gibt, auf die er keinen Einfluss hat. Okay, mensch muss von etwas leben … aber ob es so eine gute Idee ist, einen Krieg zu befliegen – ich weiß nicht. 🤔
    Ich halte es für sehr klug, auch mal zu verzichten. Man muss nicht alles tun, was man tun kann. Das gilt im Kleinen wie im Großen …
    Trübe Morgenkaffeegrüße ☁️🌳☕🍪🌼👍

  3. Hähä … nettes Erlebnis: „Ist sowieso ihr letzter Flug…“ war offenbar keine schlechte Ansage, sie wurde nicht böse und hat ihn schon vor der geplanten Landung abgebrochen – vielleicht war sie auch selbst müde 😉 … und deshalb also die DC3 als Opener im Bilde 😉 … in Afrika fliegen aktuell noch immer welche, meist im Charterbetrieb in Privathand; dein (ausgestiegener) Freund wird das bestätigen können. Auf Hawaii waren die noch in den 80ern als zuverlässige Inselhüpfer gang und gäbe – interessanterweise meist mit Japsen als Chauffeuren bestückt ;-!

  4. Im Deutschen klingt das „ist sowieso ihr letzter Flug“ ja auch noch wie eine Drohung, denn das Wort „ihr“ könnte groß geschrieben gemeint sein … , so dass ich beim Lesen eben zuerst zusammengezuckt bin, nach dem Motto, oh, was sollte euch da am Ziel seiner Meinung nach erwarten … .🤔. Aber das wäre wahrscheinlich Stoff für eine andere Geschichte… . Würde mich durchaus interessieren, denn ich habe den Eindruck, dass du eine Menge (wahrer) Abenteuer aus deinem Leben erzählen könntest.

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